Blaulicht durchzuckt die Nacht (© chalabala / Fotolia)

Gerade in unruhigen Zeiten wollen viele es nicht wahrhaben, aber absolute Sicherheit gibt es nicht. Sie ist nur eine Illusion. Damit diese Selbsttäuschung funktioniert, wird von Politik und Staat viel unternommen. Und dennoch hat die Illusion auch ihre Grenzen.

Um das Phänomen der Sicherheitsillusion einordnen zu können, ist es wichtig eine Vorbedingung zu verstehen: In einem Land wie dem unsrigen liegt das Gewaltmonopol beim Staat. Das bedeutet, dass es ausschließlich staatlichen Organen vorbehalten ist, mittels körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt oder Waffen auf Personen oder Sachen einzuwirken oder wie die Juristen sagen, unmittelbaren Zwang auszuüben.

Mit diesem Gewaltmonopol einhergehend wird eine Illusion geschaffen: der Staat kann seine Bürger schützen. Die Illusion ist von eminenter Bedeutung, weil Staatsangehörige im Glauben auf den Rechtsstaat im Gegenzug verzichten, selber Gewalt zum Beispiel in Form von Selbstjustiz auszuüben.

Unter normalen Umständen reicht diese Sicherheitsillusion aus, um ein friedliches Miteinander zu gewährleisten. Dafür zeigt die Polizei mit Streifen Präsenz oder sie ist durch eine Verständigung des Notrufs über die 110 schnell zur Stelle. Doch es gibt zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, welche die Grenzen der Sicherheitsillusion in gravierender Weise aufgezeigt haben:

Silvester 2015/16: Die Kölner Polizei unterschätzt die Lage und verliert die Kontrolle

Am Neujahrstag des Jahres 2016 informiert die Kölner Polizei die Medien via Pressemitteilung über die Vorkommnisse in der Nacht. Auf Grund des harmlos klingenden Titels der Mitteilung ahnen weite Teile der Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es am Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs in der Silvesternacht alles andere als friedlich zuging.

„Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“ Polizei Köln am 1. Januar 2016, Titel der Pressemitteilung

Wie sich im Nachgang herausstellen sollte, versammelte sich auf dem Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs sowie auf der angrenzenden Treppe zur Domplatte eine große Anzahl an Männern. Laut Bericht der Kölner Polizei waren es mehr als 1000. Sie waren zum Teil stark alkoholisiert und stammten dem Anschein nach aus dem nordafrikanischen bzw. arabischen Raum. Im enthemmten Zustand bildeten sich Gruppen unterschiedlicher Größe, welche Frauen sexuell belästigten und darüber hinaus auch noch bestahlen. Einige Männer schossen gezielt Feuerwerkskörper in die Menschenmenge, unter der sich auch Einsatzkräfte der Polizei befanden.

Dass die Polizei nur scheibar für Sicherheit sorgen konnte, wird durch eine Einschätzung des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK NRW) belegt. In einem der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Bericht heißt aus dem Ministerium hierzu wörtlich:

„Durch die fehlende Anpassung der Kräftelage, auf die sich für die Polizei neu darstellende Situation der teilweisen völligen Enthemmung der Männergruppen hatte die Polizei keine Kontrolle über die Lage und konnte quasi vor und unter ihren Augen nicht vermeiden, dass Frauen sexuell geschädigt und bestohlen bzw. beraubt wurden. Dadurch wurde das Ansehen der Polizei bei den Geschädigten und im Anschluss bei der breiten Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigt und geschädigt.“

Welches Ausmaß dieser rechtsstaatliche Kontrollverlust für die Opfer konkret bedeutete, wird erst in einer Anlage des Berichts deutlich. Auszüge über die sich während der Nacht zugetragenen Straftaten:

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G20 in Hamburg – der Rechtsstaat gibt Stadtteile zeitweilig komplett auf

Die Bilder vom Gipfel der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gingen um die Welt. Besonders die schweren Ausschreitungen in den Hamburger Stadtteilen Altona und Sternschanze werden aber wohl als einschneidende Ereignisse im kollektiven Gedächtnis verbleiben. Dabei hatte die Polizeiführung bereits im Vorfeld Maßnahmen zur Bewältigung des Großeinsatzes getroffen  wohl auch deshalb, weil in Hamburg eine starke linke Szene vertreten ist.

Unter Leitung der Hamburger Polizei wurden laut Hamburg.de 15.000 Polizisten für den Einsatz zusammengezogen. In vielen Presse-Quellen ist sogar die Rede von 20.000 Polizisten. Um die Demonstrationen örtlich einzugrenzen, wurde eine Demonstrationsverbotszone für den 7. und 8. Juli 2017 erlassen. Für eine deutsche Großstadt bisher ein Novum: Sie umfasste ganze 38 Quadratkilometer Stadtgebiet. Ein Umstand, der nicht kritiklos blieb.

Während die Staatsmacht am 6. Juli trotz der Auflösung einer Demonstration mit dem bezeichnenden Titel „Welcome to Hell“ weitestgehend die Kontrolle über das Geschehen behielt, verlor sie eben diese am nachfolgenden Tag gleich zweimal. So zogen am Freitagvormittag Vermummte durch Altona und zündeten dabei Autos in der Elbchaussee und umliegenden Straßen an, schlugen Autoglasscheiben ein und begangen weitere Formen von Sachbeschädigungen. Die Polizei griff in dieses Geschehen nicht ein, konnte eine Vielzahl von Straftaten nicht verhindern. Ein verheerendes Signal für die dort wohnenden Bürger, die teilweise nicht nur ihr Eigentum verloren, sondern auch einen Vertrauensverlust in die Ordnungshüter erlitten.

YouTube-Video: Der Mob zieht durch Hamburg

Ab circa 19 Uhr versammelten sich im Schanzenviertel immer mehr Personen, von denen eine starke Aggressivität gegen die Einsatzkräfte ausging. Die Polizei wurde mit Feuerwerkskörpern, Molotowcocktails, Steinen und Zwillen angegriffen. Nach 21 Uhr, die Personenzahl hatte sich zwischenzeitlich weiter vergrößert, versuchte die Polizei gegen die Aggressoren vorzugehen. Die Einsatzkräfte zogen sich allerdings schnell wieder zurück, weil sie massiv mit Steinen und Flaschen beworfen worden waren. Einem erneuten Befehl zum Vorrücken durch den Einsatzleiter Hartmut Dudde um 21:31 widersetzten sich die Beamten aus Sorge vor schweren Verletzungen bzw. der Angst, das eigene Leben zu riskieren.

Dudde forderte aus diesem Grund das Spezialeinsatzkommando (SEK) an, welches allerdings noch an anderer Stelle gebunden war. Bis zum Eintreffen des SEKs um 23:26 verging eine Zeit, in der der Rechtsstaat im Schanzenviertel de facto abwesend war. Die Folge waren Plünderungen und Zerstörungen von Geschäftsräumen. Immerhin konnten die Spezialeinheiten durch ein „gefechtsmäßiges Vorgehen“ die Angreifer zu einem schnellen Aufgeben bewegen und so die Kontrolle über das Geschehen zurückgewinnen.

Die Grenzen der Sicherheitsillusion

Ich habe ganz bewusst zwei Fälle herangezogen, bei denen die Polizei die Kontrolle über eine Lage verloren hat. Dies ist ausdrücklich nicht als Kritik an unseren Einsatzkräften zu verstehen, denn im Nachhinein ist es immer leicht, eine Situation zu analysieren und zu bewerten. In einer brenzligen Situation hingegen müssen Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden. Dies ist in beiden Fällen geschehen. Für die Zukunft können hieraus nun Schlüsse gezogen und ggf. Polizeitaktiken angepasst werden.

Ich habe die Beispiele vielmehr herangezogen, um aufzuzeigen, welche Grenzen die Sicherheitsillusion hat:

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt anbringen, bei dem selbst eine noch so gute Sicherheitsillusion versagt. Die Rede ist von Anschlägen!

Die Mindestinvestion in eine Sicherheitsillusion

Unter normalen Bedingungen reicht das Schaffen einer Sicherheitsillusion wie eingangs erwähnt aus, um ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft zu gewährleisten. Sie ist eine Folge des Gewaltmonopols und damit erstrebenswert, weil sie die Gemeinschaft davor schützt, in archaische Zeiten zurückzufallen. Dennoch sind Politik und Staat gefordert, immer wieder aufs Neue in diese Sicherheitsillusion zu investieren. Das Mindestmaß wird hierbei vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Urteil vom 15. Februar 2006 (1 BvR 357/05) definiert:

„Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden (…), schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen (…).“

Bezogen auf meine Beispiele möchte ich folgende Schlussfolgerungen treffen:

Bei der Gefahr vor Anschlägen verweise ich auf die Quintessenz dieses Beitrages: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Sie ist nur eine Illusion.

#Sicherheit #Terror

2. August 2017