Ewigkeitsfenster St. Marien Stralsund: " Herr, du tust mir kund den Weg zum Leben."

Der Katholischen und Evangelischen Kirche in Deutschland laufen die Mitglieder davon. Dabei hätten beide Institutionen viele Themen zu besetzen. Sie könnten gerade in unruhigen Zeiten Menschen Orientierung und auch Halt bieten. Doch woran mangelt es, was sind die Gründe für den eklatanten Mitgliederschwund?

Spontan angesprochen in einer Fugängerzone auf die Frage „Welche Wörter verbinden Sie mit Kirche?“, würden die meisten Passanten wohl folgende Begriffe nennen: Weihnachten, Hochzeit, Taufe, Beerdigung, Konfirmation oder Kommunion. Mit ein wenig Glück auch Firmung und Ostern. Es sind einfach die Ereignisse, bei denen die Kirchen ihre Mitglieder am ehesten erreichen. Im besten Fall sogar die Bekannten und Freunde der Mitglieder. Aber mal abgesehen von Weihnachten und Ostern sind die vorher genannten Ereignisse in aller Regel einmalige Angelegenheiten.

Natürlich bieten beide Kirchen regelmäßig Gottesdienste (evangelische Kirche) bzw. Messen (katholische Kirche) an. Aber viele Gläubige scheinen keine Zeit mehr erübrigen zu wollen, mit Gott in Verbindung zu treten. Schlecht für beide Kirchen, da sie zu­se­hends die Bindung zu ihren Gläubigen verlieren. Wirtschaftlicher formuliert: Beide Gemeinschaften verlieren ihre zahlenden Kunden.

Der Marktanteil unter den Gläubigen sinkt und zwar rapide

Ein Blick in die Zahlen verheißt dabei nichts Gutes: 2001 konnten beide Kirchen jeweils für sich genommen noch über 26 Millionen Mitglieder ausweisen, 2016 sind es bei den Katholiken nur noch über 23 Millionen und bei den Protestanten etwas weniger als 22 Millionen Mitglieder. Insgesamt sind beiden Kirchen über 7,5 Millionen Gläubige abhanden gekommen. Um für die Zahl ein Gefühl zu bekommen: Insgesamt besitzen rund 5 Millionen Menschen eine BahnCard. Übertragen hieße das: Die beiden Kirchen haben innerhalb von 15 Jahren mehr als den Exitus eines erfolgreichen Treueprogramms erlebt.

Erschwerend kommt für beide christlichen Gemeinschaften hinzu, dass sie sich nur bedingt den neuen Verhältnissen anpassen können. Gerade die großen und eindrucksvollen Gotteshäuser, meistens in 1A-Lagen zu finden, bringen hohe Fixkostenblöcke mit sich. Neben dem Abdrehen einer Heizung, wenn diese überhaupt vorhanden ist, gibt es so gut wie kein Optimierungspotenzial. Restaurierungs- und Instandhaltungsarbeiten verschlingen Unsummen. Das ist es auch egal, ob die Kirchen am Sonntag gefüllt sind oder nicht. Ohne Spenden und staatliche Zuschüsse sind solche Unterfangen nicht bezahlbar.

Nächstenliebe für Flüchtlinge ja, aber bitte nicht zu viel

Aus der Kirche auszutreten, ist wohl immer eine multifaktoriell beeinflusste Entscheidung. Die Geistlichen haben aber meistens einen großen Anteil an dieser Entscheidung. Missbrauchsskandale in beiden Kirchen oder ein amtsanmaßendes Verhalten wie das des Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst sind da nur die Spitze des Eisbergs einer hausgemachten Vertrauenskrise.

„Priester: Gentleman, der den direkten Weg zum Paradies zu besitzen behauptet und darauf Maut erheben möchte.“ Des Teufels Wörterbuch, Ambrose Bierce

Die Pastoren und Priester predigen gerne Wasser, trinken dann aber Wein. Das wurde besonders bei der Flüchtlingskrise in unserem Land deutlich. Laut des Statistischen Bundesamtes lebten 2016 1,6 Millionen Schutzsuchende in Deutschland. Von diesen Menschen sind gemäß eines Beitrags von katholisch.de („Das leistet die Kirche in der Flüchtlingshilfe“) im gleichen Jahr 28.000 in kirchlichen Unterkünften untergekommen. Das entspricht einem Anteil von 0,02 %. Für die Evangelische Kirche ließen sich trotz längerer Recherche leider keine Zahlen dafür finden, wie viele Flüchtlinge 2016 bei ihr eine Bleibe gefunden haben.

Das Ganze hat besonders bei der Katholischen Kirche einen faden Beigeschmack. Sie gilt Experten zufolge als Deutschlands größter privater Grundbesitzer. Geschätzt wird laut eines Zeit.de-Beitrags („Alles Kirchenmögliche?“), dass beide Glaubensgemeinschaften 100.000 Gebäude besäßen, exklusive Gotteshäuser wohlgemerkt. Außerdem gäbe es Bauland von circa 544 Quadratmetern.

Beiden Kirchen kann zugutehalten gehalten werden, dass sie durch ihren hohen Organisationsgrad auf eine Vielzahl von freiwilligen Helfern zurückgreifen konnten. Über 100.000 Katholiken packten gemäß katholisch.de in Hochzeiten mit an, in der Vergangenheit immerhin noch 63.000. Der Abfall hat mit den gesunkenen Flüchtlingszahlen zu tun, aber auch mit in der Gesellschaft gewachsenen Ressentiments. Die Frage lautet: Haben die Kirchen wirklich genug geleistet? Wahrscheinlich nicht, der reinen Verkündigung hätten Taten, aber auch ernstzunehmende Standpunkte folgen müssen!

Ohne einen Standpunkt ist eine Orientierung nicht möglich

Neben der Flüchtlingskrise gibt es mindestens drei weitere Themen, bei denen die beiden Kirchen erschreckend passiv agieren. Bei Fragen zur Globalisierung, zur Integration und auch zum Terror vertreten beide Kirchen jedenfalls keine wirklichen Standpunkte. Diese wären aber wichtig, um Menschen Orientierung und Halt bieten zu können.

Während die Folgen der Globalisierung inzwischen jeden in Deutschland betreffen, beharren die Kirchen auf aus der Zeit gefallenen Forderungen: Sie versuchen mit aller Macht verkaufsoffene Sonntage bzw. generell Ladenöffnungen an Sonntagen zu verhindern. Das verhöhnt zum einen den stationären Einzelhandel, denn Anbieter wie Amazon und Co. haben ganzjährig im Internet geöffnet, und zum anderen Menschen, die am Wochenende nach einer harten Woche Zeit für Dinge haben, die unter der Woche schlichtweg fehlt.

Wäre es nicht besser, generell prekäre Arbeitsverhältnisse anzuprangern? Mal zu hinterfragen, warum Frauen bis heute das höchste Risiko tragen, in eine Altersarmut zu geraten? Oder vielleicht auch einmal zu erörtern, warum große Konzerne so gut wie keine Steuern zahlen?

Ähnlich verheerend sieht es bei der Integration neuer Bürger in unserem Land aus. Beide Kirchen, so scheint es, haben bis heute nicht realisiert, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehört. Vom Judentum ganz zu schweigen. Da drängt sich die Frage auf: Warum gibt es nicht einen über alle Religionsgemeinschaften hinweg organisierten Tag der Religionen? Unter Christen, Juden und Muslimen könnte so doch bestens herausgearbeitet werden, dass alle Gemeinschaften an den gleichen Gott glauben.

So ein gemeinschaftlich begangener Tag, bei dem Kirchen, Moscheen und Synagogen gleichsam ihre Tore für Interessierte öffnen, wäre auch auch die perfekte Gelegenheit, um ein Zeichen gegen den Terror zu setzen. Denn ein bamherziger Gott, so wie ihn der Reformator Martin Luther gesehen hat, würde niemals Menschen dazu anleiten, andere Menschen umzubringen.

Selbst wenn ich wüsste, dass die Welt morgen in Stücke zerfällt, würde ich immer noch meinen Apfelbaum einpflanzen. Kirchenreformator Martin Luther

Gerade in unruhigen Zeiten wie den heutigen benötigen Menschen Orientierung und Halt. Sie müssen lernen, dass es auf komplexe Fragen keine einfachen Antworten gibt. Sie brauchen eine Anleitung dafür, wie mit dem Gefühl der Ohnmacht und des Weltschmerzes umzugehen ist.

Um aber eine solche Orientierung geben zu können, wird ein fester Standpunkt benötigt. Und dieser muss mitunter auch selbstkritisch sein: Die Brutalität des „Islamischen Staats“ zu verurteilen, gelingt nur dann nachhaltig, wenn die eigene brutale Geschichte immer und immer wieder kritisch beleuchtet wird. Damit sind nicht nur die Hexenverbrennungen und Kreuzzüge aus vergangenen Tagen gemeint, sondern auch aktuelle Kriegsverbrechen wie amerikanische (Angriffs-)Kriege. Gerne wird nämlich vergessen, dass auch amerikanische Präsidenten den Namen Gottes als Rechtfertigung ihrer Kriege missbrauchen.

Mehr Mut für neue Formate könnten das Überleben sichern

Wenn die Kirchen überleben wollen, brauchen sie neue Formate! Warum nicht mal in Modulen denken? Wie wäre es zum Beispiel, wenn Predigten für das Internet zum Nachsehen in Form eines Videos oder zum Nachhören in Form eines Podcasts aufgezeichnet würden? So hätte jeder – an Gott glaubend oder nicht – die Chance, die Gedanken eines Geistlichen zu empfangen.

Generell böte das Internet so viele Chancen: Wie toll wäre es, bestimmte, wichtige Botschaften aus einer Messe oder einem Gottesdienst auch per WhatsApp, Facebook oder Instagram an Freunde, Bekannte sowie die Familie zu teilen. Die Aufforderung nach dem Friedensgruß „Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch“ in einer katholischen Messe könnte doch auch lauten: „Gebt einander ein Zeichen des Friedens und teilt diese Botschaft mit weiteren Mitmenschen im Internet!“

Eine kritische Kirche würde, wenn sie alle Kanäle analog und digital geistreich bedient, Aufmerksamkeit erlangen. Sie muss aber, um ihr eigenes Überleben zu sichern, nachhaltiger agieren und auch mal unbequem gegenüber dem Staat oder Arbeitgebern sein. Vor allem aber benötigt sie Geistliche, die mit viel Herz auftreten und endlich eigene Standpunkte entwickeln!

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22. April 2018