Block 1 in Prora nähert sich der Fertigstellung (November 2017). Gut zu erkennen: die stetige Krümmung des Gebäudes.

Denkmal-AfA und Denkmal-Abschreibung – das sind zwei Begriffe, die in Prora unzertrennlich mit dem Ausverkauf der Geschichte verbunden sind. Obwohl beide Wörter Erfindungen des Steuerrechts sind, haben sie im Zusammenhang mit Prora einen Marketing-Charakter erhalten. Mit einer gravierenden Folge für die Geschichtsaufarbeitung dieses Ortes.

Der Koloss von Prora ist die größte bauliche Hinterlassenschaft der Nationalsozialisten. Es ist ein schier endlos lang wirkender Gebäudekomplex auf der Insel Rügen, der zwischen Binz und Sassnitz direkt an der Ostsee liegt. Als „Seebad der 20.000“ sollte dieser Ort dem gemeinen Arbeiter einen günstigen Strandurlaub über die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) ermöglichen. Doch soweit sollte es bedingt durch den Krieg nicht mehr kommen. Die Anlage wurde nur in Teilen und auch nur im Rohbau fertig. Dieser Teil der Geschichte ist inzwischen vielen durch Presseartikel und TV-Dokumentationen bekannt.

  • 1 von 11 Geschichtsverzerrend: Auf Schildern ist die Rede vom "ehem. KdF-Bad"

  • 2 von 11 Wolken ziehen hinweg über den fast fertiggestellten Block 1

  • 3 von 11 Landseitig sieht es bei Block 1 noch mehr nach Baustelle aus

  • 4 von 11 Wirkt wie ein Fremdkörper: die Fluchttreppe am Ende von Block 1. Sie ließ sich wohl aber auf Grund der aktuellen Bauordnung nicht verhindern.

  • 5 von 11 Wird inzwischen zum Urlauben genutzt: das Apartment-Hotel "Prora Solitaire" in Block 2

  • 6 von 11 Der Begriff "Denkmal-Abschreibung" hat in Prora Marketing-Charakter wie hier zu sehen

  • 7 von 11 Die Bauarbeiten schreiten voran – links der Anfang von Block 3 in Prora

  • 8 von 11 Werbung für die Disco "M3 Miami", die eine zeitlang im südlichen Empfangsgebäude zu Hause war: "... in ist, wer drin ist!"

  • 9 von 11 Wurde von den Sprengungen verschont: Eine Liegehalle im Rohbau

  • 10 von 11 An den nördlichsten Prora-Blöcken wurden Sprengungen durchgeführt

  • 11 von 11 Die nördlichsten Blöcke wurden nach den Sprengversuchen der Roten Armee als Ruine hinterlassen

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Dass dem Ort allerdings eine im Vergleich zum Wirken der Nazis lange Zeit DDR-Geschichte innewohnt, ist der Allgemeinheit so gut wie unbekannt. Nachdem Sprengversuche der Roten Armee auf Grund der massiven Bauweise an einigen Gebäudeteilen missglückten, wurden einige der ursprünglich acht Blöcke zu einer Großkaserne der Nationalen Volksarmee (NVA) umgebaut. Sehr zum Leidwesen der Bausoldaten, den Kriegsdienstverweigerern, die es im Regime eigentlich nicht geben durfte. Für sie wurde der Standort ein unschöner Teil ihres Lebens, weil sie als günstige Arbeitskräfte missbraucht, nicht selten schikaniert und darüber hinaus von der Staatssicherheit bespitzelt wurden.

Warum aber ist dieser Teil der Geschichte, immerhin über 40 Jahre, eher unbekannt? Völlig geschichtsverzerrend ist auf Schildern rund um die Anlage vom „ehem. KdF-Bad“ die Rede. In der NS-Zeit hat niemand auch nur einen Tag Urlaub in Prora gemacht, wie auch in einem nur fertiggestellten Rohbau? Wenn überhaupt, weil immer noch verkürzend, müsste die Beschriftung „geplantes KdF-Seebad“ lauten. Aber dies scheint nicht in das Bild einiger Akteure zu passen.

„Einmal investiert – dauerhaft rentiert“ Aus einem Werbevideo der Myhome Irisgerd GmbH

Allen voran sind es die Investoren, die das schnelle Geld der gesellschaftlichen Verantwortung vorziehen. Auf einer Website der Myhome Irisgerd GmbH, Eigentümerin von Block 1 nach heutiger Zählung, werden potenziellen Wohnungseigentümern die Vorzüge eines Investments aufgezählt, es ist sogar von einem „Zinshaus“ die Rede: Immobilien hätten grundsätzlich einen eigenen „inneren Wert“, sie trotzten der Inflation und der Gesetzgeber fördere durch Denmal-Abschreibungen den Erhalt eines Baudenkmals.

Als Absetzung für Abnutzungen (kurz AfA) wird die steuerrechtlich zu ermittelnde Wertminderung von Anlagevermögen bezeichnet. Aus der Wikipedia

Da sind sie wieder, die eingangs erwähnten Begriffe: Denkmal-AfA und Denkmal-Abschreibung! Hinter ihnen steckt eine lukrative steuerliche Begünstigung. Grobgesagt sieht das Einkommenssteuergesetz zwei Fälle vor:

Das Perfide an dem Ganzen: Es ist der deutsche Staat, der hier betuchten Bürgern künstlich eine lohnende Anlageform schafft, sich gleichzeitig aber aus der geschichtlichen Verantwortung gegenüber des Ortes gestohlen hat. Natürlich ist die Weiterentwicklung eines so großen Areals keine einfache Angelegenheit. Dass es aber es so gar keine Auflagen gegeben hat, wenigstens einen dauerhaften Ort der Dokumentation zu schaffen, hat einen bitteren Beigeschmack.

Schon in naher Zukunft wird nur noch wenig an die Geschichte dieses Ortes erinnern – ein Grund für mich von Zeit zu Zeit zu dokumentieren und damit an die gesellschaftliche Verantwortung all derer zu appellieren, die das Kapital besitzen, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen.

#Binz #Prora #Rügen

19. November 2017

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