Alwy Allwissend sitzt auf der Alten Mainbrücke in Würzburg

Wenn ich an Deutschland denke, fällt mir zuerst die Bramfelder Straße ein. Die Straße, die ich dabei im Sinn habe, liegt im Hamburger Stadtteil Barmbek und wird von vielen Autos befahren. In dieser Straße bin ich in einem mehrstöckigen Backsteinhaus groß geworden. Schon als kleines Kind fand ich den Bewohnermix in meinem Haus interessant.

Da gab es zum Beispiel eine alte Dame, die man nur selten sah. Wenn wir uns mal sahen, sagte sie sowas wie „Wenigstens ein deutsches Mädchen im Haus!“ Damals wusste ich noch nicht, warum sie das immer wieder betonte. Später verstand ich, dass es wohl eine Anspielung auf die Tatsache war, dass in unserem Haus mehrere Deutsche mit Migrationshintergrund – wie man heute so schön sagt – wohnten. Unter anderem hatten wir einen Nachbarn mit türkischen Wurzeln und sogar einen mit chinesischen! Und dann hatten wir noch, wie sich nach Jahren herausstellen sollte, einen Messie in unserem Haus. Als Kind wusste ich nicht, was ein Messie ist. Mir war damals nur aufgefallen, dass dieser Nachbar unangenehm roch. Aber warum schreibe ich all dies? Vielleicht weil ich aufzeigen will, dass schon das Zusammenleben mit Deutschen sehr facettenreich sein kann.

  • 1 von 6 Alwy Allwissend auf der Festung Marienberg in Würzburg

  • 2 von 6 Die Dächer Würzburgs (© JFL Photography / Fotolia)

  • 3 von 6 Leuchtturm auf Sylt (© Jenny Sturm / Fotolia)

  • 4 von 6 Das Wahrzeichen Wilhelmshavens: Die Kaiser-Wilhelm-Brücke (© pixelliebe / Fotolia)

  • 5 von 6 Der Prinzipalmarkt in Münster (© aundrup / Fotolia)

  • 6 von 6 Alwy Allwissend am Checkpoint Charlie in Berlin

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Aber reicht es die Bramfelder Straße als Teil von Hamburg heranzuziehen, um ein Bild darüber abzugeben, was Deutschland ausmacht? Wohl nicht. Oder nicht allein. Vielleicht sollte ich den Prinzipalmarkt vom westfälischen Münster der Vollständigkeit halber heranziehen. Beim Prinzipalmarkt handelt es sich um einen Straßenzug, der beidseitig von Giebelhäusern geprägt wird. Das Besondere: Jeder Giebel sieht anders aus. Das fand ich als häufig mit meinen Eltern in Münster Urlaubende sehr beeindruckend.

Vielleicht beschreiben die unterschiedlichen Giebel Deutschland ganz gut: Es ist ein Land der Gegensätze. Ein Beispiel: Während in der Bramfelder Straße beziehungsweise in der unmittelbaren Nähe auch in der Nacht ein Busverkehr erfolgt, kann man in Münster ab einer bestimmten Uhrzeit am besten gleich zu Fuß gehen oder doch wenigstens den Drahtesel bemühen. Als Deutsche gebe ich zu, dass ich gerade diese Gegensätze liebe. Es gibt einfach Zeiten, da liebe ich die Großstadt über alles. Und dann gibt es Zeiten, in denen sehne ich mich nach der Provinz, etwas Überschaubarem, meinem persönlichem Schrebergarten sozusagen.

„Weder Düsseldorf noch Denkendorf, weder Bach noch Buchenwald, weder Waffenschmiede noch Idyll, und doch dies alles auch – wie soll man über Deutschland schreiben, wenn niemand mich eingeschlossen so recht weiß, was Deutschland eigentlich ist, was das eigentliche Deutschland ist, das Deutschland, das die Welt meint, wenn sie von Deutschland spricht, das Deutschland, das die Deutschen meinen, wenn sie von Deutschland sprechen, das Deutschland, das ich meine, wenn ich von Deutschland spreche?“ Aus „Anatomie eines Adlers. Ein Deutschlandbuch“

Aber ist Deutschland mit dem Prinzipalmarkt sowie der Bramfelder Straße schon ausreichend gut beschrieben? Es drängt sich für mich förmlich auf, auch noch die Berliner Friedrichstraße in meine Überlegungen einzubeziehen.

Ich finde, wenn es eine Straße gibt, in der man die jüngere Geschichte Deutschlands förmlich spüren kann, dann muss diese Straße Erwähnung finden. Für mich ist es ein Muss beim Besuch der Hauptsstadt mindestens einmal den Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße zu passieren. Dieser ehemalige Kontrollpunkt der Allierten ist für mich ein Synonym dafür, dass die deutsche Vergangenheit nicht selten extreme Entwicklungen bereithielt. Ein Beispiel dafür ist der 27. Oktober 1961, an dem sich amerikanische und sowjetische Panzer in Sichtweite gegenüberstanden. An diesem Tag stand es auf Messers Schneide, ob der dritte Weltkrieg und damit einhergehend ein Atomkrieg zwischen den Supermächten ausbricht.

Nach diesem Einfall, dass Deutschland eine sehr wechselhafte Geschichte hat, frage ich mich, ob neben der Bramfelder Straße, dem Prinzipalmarkt und der Friedrichstraße nicht auch noch die Domstraße in Würzburg von mir genannt werden muss. Deutschland ohne Franken? Unvorstellbar für mich, denn man muss Gott für alles danken, auch für einen Unterfranken! Ich liebe Würzburg, die Weinberge am Main, das Bier und natürlich die Festung Marienberg.

Wenn ich eine Auszeit brauche, kann ich nicht anders, als nach Würzburg zu fahren. Und vor allem muss ich jedes Mal zur Festung hochlaufen. Manchmal sogar zwei Mal am Tag, das ist für mich ein Ritual. Der Blick von oben auf die vielen Kirchtürme und Dächer Würzburgs bedeutet für mich Freiheit!

Freiheit ist etwas, das wir Deutschen nach unser grausamen Geschichte verteidigen! Zuweilen sogar am Hindukusch! Neben der Festung liebe ich aber auch die Alte Mainbrücke, welche man in der Regel auf dem Weg zur Festung überquert. Dort machen viele Touristen Fotos. Und nicht wenige trinken Wein.

Auch auf die Gefahr hin, dass dies wieder einer meiner gedanklichen Rösselssprünge ist: Ich habe etwas übrig für Brücken und deshalb muss ich unbedingt noch die Kaiser-Wilhelm-Brücke und ihre Straße Zur Kaiser-Wilhelm-Brücke in Wilhelmshaven erwähnen.

Die Brücke, übrigens zum Wahrzeichen der Stadt auserchoren, ist Deutschlands größte Drehbrücke! Sie schwebt bei geschlossenem Zustand über den Ems-Jade-Kanal und ist für Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer eine Möglichkeit, von der Südstadt zum Südstrand und umgekehrt zu gelangen. Bei geöffnetem Zustand lässt sie unter anderem unsere Kriegsschiffe passieren. An dieser Stelle bin ich mir übrigens unsicher, ob der Begriff „Kriegsschiff“ in der Marine geläufig ist oder auf Grund der Vergangenheit lieber vermieden wird.

Auch das ist übrigens typisch für Deutschland, dass sich auf Grund der eigenen Geschichte schwer mit Begrifflichkeiten tut. Da werden die im Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr vorgefundenen Zustände schon einmal verharmlosend als „kriegsähnlich“ bezeichnet. Diskutiert wird allerdings auch, ob Versehrte Veteranen genannt werden dürfen?

Aber nun weg vom Krieg zu etwas Friedlichem, zur nördlichsten Straße Deutschlands. Es handelt sich um eine namenlose Privatstraße in List auf Sylt, über die die Spitze des Sylter Ellenbogen erreicht werden kann. Die Straße muss ich unbedingt noch nennen. Zum einen gehören Inseln für mich einfach zu Deutschland. Sie sind tolle Orte, um den hektischen Alltagsstraße komplett zu verlassen. Und zum anderen haben es Inseln an sich, dass sie von Wasser umgeben sind. Es ist also immer möglich, den Horizont zu sehen!

Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende. Oscar Wilde

Ich finde: Auch wenn wir uns in Deutschland inzwischen mit vielen Rückwärtsgewandten auseinandersetzen müssen, sollten wir nie den Horizont aus dem Blick verlieren.