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Teil des Kontaktverbots: Eine Anzeigetafel weist auf den auch im ÖPNV geltenden Mindestabstand hin
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie haben Bund und Länder massive Grundrechtseinschränkungen vorgenommen. Das Ausmaß ist in der über 70-jährigen Geschichte des Grundgesetzes einmalig, aber vor allem eines: erschreckend!
Die Ereignisse haben sich allerorten überschlagen, das öffentliche Leben hat sich einschneidend verändert. Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten, Kirchen, Hotels, Restaurants, Bars, Einzelhandelsgeschäfte, Schwimmbäder und Sporthallen sind allesamt geschlossen worden, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 und die vom Virus ausgelöste Erkrankung COVID-19 zu verlangsamen. Auch die Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebiets wurde eingeschränkt, in einigen Bundesländern müssen Bürger ihre Zweitwohnsitze verlassen. Außerdem herrschen Kontaktverbote oder Ausgangssperren, so dass die eigene Wohnung möglichst nicht oder nur aus trifftigem Grund verlassen werden darf. Versammlungen von Menschen sind auf Grund des Mindestabstands von 1,5 Metern und der Begrenzung der Personenanzahl nicht mehr möglich. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass Demonstrationen verhindert werden.
Wenngleich das Recht auf körperliche Unversehrtheit und damit die Gesundheit jedes einzelnen bei allen Maßnahmen im Vordergrund steht, stellt sich dennoch die Frage, wie es um eine wehrhafte Demokratie bestellt ist, wenn Demonstrationen als Instrument der freien Meinungsäußerung verboten sind. Denn ob wirklich alle mit dem derzeitigen Vorgehen der Bundesregierung und der Länderparlamente einverstanden sind, so wie es Umfragen zur Zeit suggerieren, ist fraglich. Zweitwohnungsbesitzer in Mecklenburg-Vorpommern, welche unter Androhung von Bußgeldern zur Abreise gezwungen werden, um mal ein Gegenbeispiel zu nennen, sind es sicherlich nicht. Sie können sich derzeit nur juristisch wehren oder sich über die Medien Gehör verschaffen.
Die Gerichte entscheiden in der Zweitwohnungsfrage, um beim Beispiel zu bleiben, allerdings uneinheitlich. Die Gemeinde Krummhörn in Ostfriesland, welche ein Eheepaar aus Rheinland-Pfalz zur Abreise aus ihrem Haus aufgefordert hatte, bekam vor dem Oldenburger Verwaltungsgericht Recht. In Brandenburg hingegen entschied das Verwaltungsgericht Potsdam, dass zwei Berlinern das Aufsuchen ihrer Zweitwohnsitze in Ostprignitz-Ruppin trotz Einreiseverbot der Gemeinde nicht verwehrt werden dürfe.
Glücklicherweise berichten die Medien über dieses Wirrwarr, ob sie allerdings grundsätzlich als „vierte Gewalt“ wirken, sei an dieser Stelle mit einem großen Fragezeichen versehen. Es darf nicht vergessen werden, dass viele Redaktionen inzwischen auch aus dem Homeoffice heraus arbeiten. Beseelt von ungeahnten Reichweitenhöhenflügen und Zuwächsen im Printbereich stellt sich allerdings die Frage, ob dieses neue Selbstbewusstsein zu einer kritischeren Berichterstattung als vor der Corona-Krise geführt hat. Die „Stay Home“- und „Flatten the Curve“-Aufrufe erwecken eher den Eindruck einer Wiederholung von offiziellen Regierungsinformationen. Dies wirkt umso verwunderlicher vor dem Hintergrund, dass es durchaus kritische Fragen gibt.
Bei den erlassenen Allgemeinverfügungen oder Verordnungen hinterfragen derzeit verschiedene Juristen, auf welcher Rechtsgrundlage sie fußen. Einschlägig ist in der Regel das Infektionsschutzgesetz. Ein Gesetz, „zu dem nach der Krise erst einmal ein vernünftiger Kommentar verfasst werden muss“, wie der Rechtswissenschaftler Professor Thorsten Kingreen in einem Beitrag auf Verfassungsblog.de schreibt. Er, aber auch andere Juristen, bezweifeln dass das Infektionsschutzgesetz (IfSG) als Rechtsgrundlage für die sehr weitgehenden Grundrechtsbeschränkungen herhalten kann. Umso größer die Einschränkungen nämlich sind, umso konkreter musst die Rechtsgrundlage ausgestaltet sein.
Der Teufel liegt im Detail wie Kingreen einfach nachvollziehbar anhand von § 33 IfSG erklärt. In diesem Paragraphen wird definiert, welche Gemeinschaftseinrichtungen zur Bekämpfung und Verhütung von Infektionskrankheiten geschlossen werden dürfen: Während Schulen sowie Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte explizit genannt werden, fehlen Hochschulen und Universitäten in der Aufzählung. Sie können seiner Meinung nach auch nicht als „sonstige Ausbildungseinrichtung“ aufgefasst werden, weil diese Einrichtungen nicht nur der Ausbildung dienen, sondern auch der Forschung nachgehen.
Selbst wenn der Gesetzgeber nun zügig eine alternative Rechtsgrundlage schaffen würde, gilt es allerdings noch weitere Hürden zu beachten: Die Grundrechte selbst und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzen nämlich ebenfalls Grenzen. Die Versammlungsfreiheit wird zum Beispiel durch Versammlungsgesetze in den Bundesländern eingeschränkt. So sind Demonstrationen vorab anzumelden, sofern es sich nicht um „Spontandemonstrationen“ handelt. Dass die Allgemeinverfügungen bzw. Verordnungen Demonstrationen allerdings per se verbieten, stellt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Frage. In Bayern wäre, um es auf die Spitze zu treiben, auf Grund der geltenden Ausgangssperre noch nicht einmal eine Ein-Personen-Demo möglich, da Demonstrieren keinen trifftigen Grund darstellt, das Haus zu verlassen.
Ob die einzelne Maßnahmen verhältnismäßig sind, wird hoffentlich bei Zeiten das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Weil es sehr häufig Fehler der Politik ausbügelt, werden sich die Richter in Karlsruhe ihrer besonderen Verantwortung in dieser Pandemie bewusst sein. Mutmaßlich werden sie die Maßnahmen deshalb nicht als nichtig, sondern nur als mit der Verfassung unvereinbar deklarieren. Dies gebe Bund und Ländern die Chance nachzubessern, würde aber gleichzeitig auch als Signal aufgefasst werden können, dass es auch in einer Krise das Recht und die Freiheit zu verteidigen gilt.
Bis diese besonders für den Rechtsglauben wichtigen Entscheidungen fallen, wird wohl noch einige Zeit verstreichen, wie der Rechtswissenschaftler Professor Carsten Bäcker in einem heute erschienenen Beitrag auf Verfassungsblog.de mutmaßt. Umso wichtiger ist es, sich zu vergegenwärtigen, welche hohe Verantwortung jeder einzelne nun trägt. Es gilt als mündiger Bürger alles zu unternehmen, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung möglichst zu verlangsamen. Gleichzeitig muss aber auch jede staatliche Maßnahme auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden. Ist sie nicht verhältnismäßig, sollte Widerspruch eingelegt werden. Führt dies nicht zum Erfolg, bleibt im Sinne einer wehrhaften Demokratie nur eine Demonstration trotz Kontaktverbot oder Ausgangssperre. Das erfordert zuweilen Tapferkeit, ist aber mit Sicherheit im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes!
#Coronavirus #COVID19 #Gesundheit #Grundgesetz #Recht
8. April 2020
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